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Bernd Köstering:
Goetheruh.
Ein Literaturkrimi


Meßkirch: Gmeiner 2010
374 Seiten
ISBN 978-3-83-921045-1
Sonderkommission "JWG"




Die unselige Mode des Regio(nal) - Krimis greift immer weiter um sich. Niemand weiß inzwischen mehr, wo sie einst ihren Anfang nahm. Und ob sie in Tunten- oder Deppenhausen, Poppen- oder Leichendorf oder mitten in der verkehrsberuhigten Zone von Blödesheim eines Tages kollabiert - geschenkt! Fest steht nur: Kein Nest ist heute vor ihr sicher. Auch nicht Weimar. Doch weil Weimar WEIMAR ist, muss ein Kriminalroman, der hier spielt, schon ein bisschen mehr bieten als lahmes Leichenzählen im Ländlichen. "Buchenswertes" muss herausspringen, das ist man dem genius loci schuldig. Bernd Köstering, 1954 in Weimar geboren, inzwischen aber in Offenbach lebend, verleiht seinem fast 400-seitigen Roman Goetheruh aus diesem nachvollziehbaren Grund im Untertitel die Genrebezeichnung "Ein Literaturkrimi". Doch dem damit automatisch verbundenen Anspruch wird das Buch selbst leider nicht gerecht.

Der Inhalt immerhin ist schnell erzählt. Und eigentlich könnte man - entgegen den Üblichkeiten, wenn Spannungsliteratur zur Diskussion steht - auch gleich enthüllen, wer der Täter ist. Denn spätestens nach einem knappen Viertel der Lektüre dürften das selbst ausgemachte Schnarchnasen unter den Lesern begriffen haben. Von da an geht's dann endgültig bergab, beziehungsweise es ginge in diese Richtung, wenn es denn vorher je bergauf gegangen wäre. Aber das Buch bewegt sich von der ersten bis zur letzten Seite nur auf einem Niveau - und das ist niedrig wie der Pegelstand der Ilm in einem ausgesprochen trockenen Sommer.

Doch zurück zum Plot. Man schreibt das Jahr 1998 - bis zum Kulturstadt-Ereignis ist es also nicht mehr lange hin. Und ausgerechnet in dieser angespannten Zeit verschwinden aus dem Haus am Frauenplan wertvolle Exponate. Gleichzeitig erhält Kulturstadtrat Kessler ominöse Kassiber mit Textstellen aus Goethes Werken. Ein Experte muss her! Weil der Stadtrat den eingesessenen Goethekoraxen wohl nicht so ganz über den Weg traut, holt er den Dozenten Hendrik Wilmut aus Frankfurt am Main nach Weimar. Der hat sozusagen noch einen Koffer in der Klassikerstadt und seinen Goethe kennt er ohnehin von Johann bis Wolfgang. Und obwohl ihn alte Stasiseilschaften, Weimars Sensationspresse (!), die liebe Verwandtschaft aus der Ex-DDR und eine wiederaufblühende Jugendliebe rund um die Uhr beschäftigen, löst er den Fall doch zuverlässig.

Der Showdown findet in der Fürstengruft statt. Allein er ist genau so hanebüchen wie das meiste, das der Roman uns bis dahin untergejubelt hat. Da kommt's auf den aufspringenden Deckel von Goethes Sarg dann auch nicht mehr an. Kurz zuvor hat man zum Beispiel erfahren, dass in der Thüringer Kleinkriminellenszene noch immer die mittelalterliche Ganovensprache Rotwelsch gesprochen wird. Kostprobe gefällig? Bitte schön: "De Schval kommt oft hier zu sein Klunde, schwächt sein Fusel un holcht dann hortig in de Ballert." Übersetzen lassen kann man sich das in einer Oberweimarer "Kaschemme an der Ilm" (Aber Vorsicht, die Gestalten, die dort hocken und direkt wie aus dem "Rinaldo Rinaldini" abgekupfert wirken, sind gefährlich und stehen unter dem Oberbefehl eines einflussreichen Mannes, der sich als persönlicher Referent unter die Fittiche des Weimarer Oberbürgermeisters geschlichen hat!).

Hölzerne Dialoge, unmotivierte Perspektivwechsel, aberwitzige Ideen - Köstering lässt nichts aus. Thüringens Ministerpräsident heißt bei ihm Adler und ist ein recht seltsamer Vogel. Zur Anregung der Denktätigkeit der etwas schwerfällig dem Frankfurter Helden folgenden lokalen Prominenz wird ein "bereits zu sozialistischen Zeiten sehr beliebter Kräuterschnaps" aus Neudietendorf gereicht. Der Großvater einer der Romanfiguren saß wegen seiner Vorliebe für "entartete Kunst" im DDR - Knast. Und nach allerlei Spielchen mit den Initialen des gesellschaftlich relevanten Personals im klassischen Weimar - die Deutschlehrerin des geistig angeknacksten Täters muss deshalb extra den dämlichen Namen Clarissa Viola Singer (CvS - na, denken Sie mal nach!) tragen - kommt das Interpretationsgenie aus der Mainmetropole (Woher Hendrik Wilmut seine Weisheiten bezieht, belegt ein zweiseitiges Verzeichnis von Sekundärquellen, bis zu dem viele Leser aber voraussichtlich nie vordringen werden.) darauf, was den Genius von damals vom Geisteskranken von heute hauptsächlich unterscheidet: "Goethe hat nie jemanden entführt."

Und doch hat sich der Rezensent bis zum Ende gequält. Denn er nimmt seine Aufgabe ernst. Und das veranlasst ihn auch, diese Zeilen mit einem Appell an den Erfinder der Sonderkommission "JWG" zu schließen: Bitte, bitte keine weiteren Abenteuer Hendrik Wilmuts rund um das Haus am Frauenplan. Einmal ist wahrlich genug gewesen.


© 2010 by Dietmar Jacobsen/ in: Palmbaum. Literarisches Journal aus Thüringen. Heft 2/2010, S. 166 -168.


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